Erkennung von psychischer Belastung und Erkrankung (Depression & Angststörungen) in der Schwangerschaft

Inhaltsverzeichnis

Das Dokument regelt das Vorgehen des systematischen Screenings auf psychische Belastungen, Depressionen und Angststörungen in der Schwangerschaftsvorsorge.

CRH                       Corticotropin-Releasing-Hormon

SSW                      Schwangerschaftswoche

EPDS                     Edinburgh Postnatal Depression Scale

GAD                      Generalized Anxiety Disorder

ICD                        International Statistical Classification of Diseases and                                         Related Health Problems

Rund jede fünfte Mutter und jeder siebte Vater ist im Übergang zur Elternschaft von einer psychischen Störung betroffen (1).

Depression (12%) und Angststörungen (13%) wie Panikattacken, generalisierte Angststörungen, Zwangsstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen sind die häufigsten psychischen Erkrankungen in der Schwangerschaft (2).

Die psychischen Erkrankungen der Schwangeren haben folgende Auswirkungen auf Mutter und Kind (5,9):

  • erhöhte Frühgeburtsrate
  • häufigere kindliche Entwicklungsstörungen
  • niedrigere Geburtsgewichte der Neugeborenen
  • höheres Risiko für einen intrauterinen Fruchttod
  • erhöhte Rate an Geburtskomplikationen
  • erhöhte Rate an ungesunden Gewohnheiten der Mutter (Rauchen, Substanzenkonsum, ungesunde Ernährung und Nicht-Wahrnehmen der Schwangerschaftsvorsorge)

Ausserdem geht eine nicht behandelte psychische Erkrankung mit einem erhöhten Suizidrisiko einher. Der Suizid ist in den entwickelten Ländern die häufigste Todesursache von Schwangeren (8,9).

  • Traurigkeit, häufiges Weinen
  • Unfähigkeit sich zu freuen, Verlust an Interesse für die meisten oder alle Aktivitäten
  • Müdigkeit und Antriebslosigkeit
  • Inneres Leeregefühl, innere Anspannung
  • Selbstzweifel, Schuldgefühle
  • Schlafstörungen
  • Konzentrationsstörungen
  • Appetitlosigkeit oder gesteigerter Appetit
  • Psychomotorische Agitation oder Retardation
  • Körperliche und psychosomatische Beschwerden
  • Erschwerter Aufbau einer emotionalen Beziehung zum Kind bis hin zur Vernachlässigung des Kindes
  • Überforderung mit der neuen Rolle
  • Suizidgedanken (12)

Generalisierte Angststörung (12):

  • Ständige Nervosität
  • Zittern
  • Muskelspannung
  • Schwitzen
  • Benommenheit
  • Herzklopfen
  • Schwindelgefühle
  • Oberbauchbeschwerden
  • Befürchtung, dass einem selbst oder Angehörigen etwas zustösst

 

Panikstörung (12):

  • Plötzlich auftretendes Herzklopfen
  • Brustschmerzen
  • Erstickungsgefühle
  • Schwindel
  • Entfremdungsgefühle (Depersonalisation oder Derealisation)

Die Anamneseerhebung beim Erstkontakt mit der Schwangeren sollte folgende Punkte beinhalten (2):

  • Vergangene und gegenwärtige psychische Erkrankungen und deren Behandlung bei einer Fachperson für psychische Erkrankungen
  • Pränatale psychische Erkrankungen in der Familienanamnese ersten Grades
  • Physische Gesundheit (Gewicht, Rauchgewohnheiten, Substanzenkonsum, Ernährung und Aktivitätslevel und physische gesundheitliche Probleme in der Vergangenheit)
  • Bisherige Erfahrungen in der Schwangerschaft und mögliche Probleme bei der Frau oder dem Ungeborenen
  • Die Beziehung zwischen Mutter und Kind und die Gefühle der Mutter in Bezug auf die Schwangerschaft
  • Soziales Netzwerk und vorhandene Unterstützung
  • Lebensgewohnheiten, Wohnverhältnis, Arbeitssituation, Migrationsstatus
  • Erleben von häuslicher Gewalt, sexueller Gewalt, Trauma oder Vernachlässigung in der Kindheit

Als Einstiegsfragen zur Identifizierung einer möglichen Depression und/oder Angststörung sollten die Screening-Fragen gestellt werden:

  • Fühlten Sie sich im letzten Monat häufiger niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?
  • Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?

 

  • Wie oft haben Sie sich während der letzten zwei Wochen nervös, ängstlich oder gereizt gefühlt?
  • Wie oft haben Sie sich während der letzten zwei Wochen unfähig gefühlt, eine Angst zu kontrollieren oder zu stoppen?

Diese Fragen können die Frauen mit einer Punktezahl von o = nie, 1 = einige Tage, 2 = mehr als die Hälfte der Tage und 3 = fast jeden Tag beantworten. Beantwortet die Frau eine der Fragen mit «Ja» oder einer Punktezahl von 3, sollte ein weiteres Screening mit einem der validierten Fragebögen EPDS und GAD-7 stattfinden oder bei Verdacht auf eine schwerwiegende Erkrankung sofort eine psychologische Fachperson hinzugezogen werden (2).

Systematisches Digitales Screening via LUKIS bei allen Frauen mit Schwangerschaftsfall und aktiviertem MeinLUKS Konto (auch Frauen, die Geburt nicht im LUKS geplant haben):

  • Systematisches digitales Screening in der 18. und 26. SSW mit Whooleyfragen, GAD-2, bei Bedarf EPDS und GAD-7
  • Daten der Frauen mit EPDS oder GAD 7 Werten über dem Cut-off Wert werden an InBasket gesendet
  • Kontaktaufnahme mit den Frauen vorerst durch Rachele Huber (Stand 23.12.2022)
  • Aufbieten in psychiatrische Sprechstunde bei Kapazitäten, ansonsten Zusammenarbeit mit Verein Postpartale Depression

Systematisches persönliches/digitales Screening bei Frauen, die in der Frauenklinik zur Kontrolle kommen:

  • Eruieren von möglichen Risikofaktoren im Rahmen der Anamneseerhebung
  • Klientinnen-Edukation über psychische Erkrankungen in der Schwangerschaft
  • Systematisches Screening mit den Screening-Fragen bei jedem Erstkontakt mit der Anamneseerhebung (unabhängig der SSW), in der 18. SSW und in der 25.-28.SSW
  • Nachfragen, ob die Fragebögen bereits im MeinLUKS ausgefüllt wurden. Frauen ermutigen MeinLUKS App zu installieren und Fragebögen digital auszufüllen
  • Erneutes Screening mit EPDS oder GAD-7 in der 36.-38. SSW bei Frauen mit Status nach auffälligem Screening durch Screening-Fragen während der Schwangerschaft
  • Weiteres Screening nach 2-4 Wochen bei Frauen mit Wert >10 im EPDS und/oder GAD-7 ohne Vorstellung bei Claus Damas oder bekannter psychologisch/psychiatrischer Fachperson
  • Alle Screenings, die nicht in der 18. oder 26. SSW durchgeführt werden, müssen aktuell noch von Frau auf Papier ausgefüllt werden und anschliessend von der Hebamme ins Flowsheet LUKIS übertragen werden (Fragebögen können nicht digital an Frauen verschickt werden)
  • Abgabe Infoblatt von Claus Damas bei Wert >10 im GAD-7 oder >13 im EPDS. Oder Verweis an der Frau bekannten psychologische/psychiatrische Fachperson für ein Einschätzungsgespräch
  • Kontaktaufnahme und Terminvereinbarung mit Claus Damas oder mit der Frau bekannten psychologische/psychiatrische Fachperson bei bestehenden Gedanken/Wünschen sich selbst Schaden zuzufügen (nach Einverständnis der Frau)
  • Den Frauen wird angeboten, die Kontaktaufnahme und Terminvereinbarung in psychiatrischer Sprechstunde zu übernehmen (Bsp: bei fehlender Energie)
  • Wenn das Infoblatt von Claus Damas abgegeben wird, bitte Einverständnis der Frau zur Aktenteilung mit ihm einholen und ins Behandlungsteam aufnehmen
  • Statistikerhebung der Daten (vorerst Exceltabelle, bis Möglichkeit im LUKIS besteht)
  • Für die postpartale Betreuung von Frauen mit psychischen Auffälligkeiten die Verfahrensanweisung «Organisation: Betreuung von Müttern mit psychischen Auffälligkeiten» beachten.
  • Für die Betreuung von Familien mit bekannter psychischer Erkrankung oder Konsum von illegalen Drogen eines Elternteils die Verfahrensanweisung «Interprofessionelle Schwangerschaftssprechstunde» beachten.
  1. Gesundheitsförderung Schweiz (2021). Die psychische Gesundheit von werdenden Eltern unterstützen: Information und Empfehlungen für Fachpersonen. Broschuere_GFCH_2021_08_-_Die_psychische_Gesundheit_von_Eltern_unterstuetzen.pdf (gesundheitsfoerderung.ch) abgerufen am 14.10.2022
  2. NICE (2020). Antenatal and postnatal mental health: clinical management and service guidance. Published 2014, last updatet 2020. www.nice.org.uk/guidance/cg192
  3. Lilliecreutz, C., Josefsson, A., Mohammed, H., Josefsson, A. & Sydsjö, G. (2021). Mental disorders and risk factors among pregnant women with depressive symptoms in Sweden – A case-control study. Acta Obstet Gynecol Scand., 100(6), 1068-1074. https://doi.org/10.1111/aogs.14051
  4. Berger, A., Bachmann, N., Signorell, A., Erdin, R., Oelhafen, S., Reich, O., Cignacco, E. (2017). Perinatal mental disorders in Switzerland: prevalence estimates and use of mental-health services. Swiss Medical Weekly. doi:10.4414/smw.2017.14417
  5. Van Ravesteyn, L., Lambregtse-van den Berg, M., Hoogendijk, W., & Kamperman, A. (2017). Interventions to treat mental disorders during pregnancy: A systemativ review and multiple treatment meta-analysis. PLOS ONE, 1-17. https://doi.org/10.1371/journal
  6. Biaggi, A., Conroy, S., Pawlby, S. & Pariante, C.M. (2016). Identifying the women at risk of antenatal anxiety and depression: A systematic review. Journal of Affective Disorders., 191, 62-77.
  7. Bauer, A., Parsonage, M., Knapp, M., Iemmi, V., Adelaja, B. (2014). The Cost of perinatal mental health problems. London: PSSRU and Centre for Mental Health.
  8. Bauer, A. (2017). Perinatale psychische Erkrankungen. (2019). Psychiatrische Pflege., 4(1), 17-20. https://doi.org/10.1024/2297-6965/a000224
  9. Surbeck, D. (2014). Die Betreuung Schwangerer mit psychischen Erkrankungen, Pränatalmedizinische und geburtshilfliche Empfehlungen. Gynäkologie., 1, 14-21.
  10. Ursprüngliche Englische Version: Cox, J. L., Hodlen, J.M., Sagovsky, R. (1987). Detection of postnatal depression: development of the 10- item Edinburgh Postnatal Depression Scale. Br J Psychiatry 150: 782-6.
  11. Deutsche Übersetzung und Validierung: Bergant, A.M., Nguyen, T., Heim, K., Ulmer, H., Dapunt, O. (1998). German language version and validation of the Edinburgh postnatal depression scale. Dtsch Med Wochenschr 123 (3): 35-40. 
  12. ICD -10- GM Version 2020, Systematisches Verzeichnis, Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, Stand: 20. September 2019. Erscheinungsort: Köln

Autor: J. Wagner
Autorisiert: M. Hodel
Version: Januar 2023
Gültig bis: 31.12.2023