Dammriss Grad III-IV - Versorgung

08.11.21 - Kleinere Anpassungen zur Nachkontrolle

15.06.20 - Ganzer Artikel überarbeitet

Inhaltsverzeichnis

 

Zweck, Prinzip

Regelung der Versorgung von höhergradigen Dammrissen (Grad III und IV) an der FKL.

 

Begriffe und Abkürzungen

EKN    Einzelknopfnaht

DR      Dammriss

 

Einleitung

Höhergradige Dammrisse bilden ein Risiko für eine postpartale Stuhlinkontinenz, und die optimale Erstversorgung kann die Inzidenz hierfür markant senken.

Wichtig ist das Erkennen des höhergradigen Dammrisses, die korrekte Klassifikation und die optimale Versorgung.

 

Klassifikation Dammriss

• Grad 1: Lazeration des vaginalen Epithels oder der Perinealhaut

• Grad 2: Vaginalepithel, Perinealhaut und Beckenbodenmuskulatur ohne Sphinkter

• Grad 3: zusätzlich Verletzung des Analsphinkters

  • 3a <50% Riss des Sphinkter externus
  • 3b >50% Riss des Sphinkter externus
  • 3c kompletter Riss von Sphinkter externus und internus

• Grad 4: Riss des Sphinkterapparates und des anorektalen Epithels

Sonderform "buttonhole-tear": Rectum verletzt, Sphinkter intakt

 

Allgemeine Versorgungsprinzipien

  • Bei Unsicherheit, ob es sich um einen höhergradigen DR handelt, ist der Oberarzt hinzuzuziehen. Dies verbessert die Erkennungsraten.
  • Im Zweifel: wie den höhergradigen Dammriss behandeln, nicht "downstagen".
  • Naht durch OA, dieser kann Schritte einem erfahrenen Assistenten assistieren.
  • Keine Versorgung in Lokalanästhesie; generell: Regionalanästhesie oder Vollnarkose.
  • Naht generell in einem OP wegen besserer Lagerung, Lichtquelle und Sichtverhältnissen.
  • Anmeldung im LUKIS via Verordnung. (CAVE: OP-Anmeldung (sofort aktiv) auswählen, da Kogu bereits bei Aufnahme in den Gebs platziert wurde. Massnahme: Versorgung höhergradiger Dammriss)
  • Die Entscheidung in welchem OP (Gebs-OP, OP-FK, Zentral-OP) wird gemeinsam von Gebs-OA und Anästhesie-OA anhand folgender Kriterien getroffen: 
    • 1. Sicherheit der Patientin (stabil für Transport?) 
    • 2. Sicherheit der anderen Patienten (Ressourcen im Gebs: Hebammen/ Geburtshelfer / drohende Stufe-III-Sektio) und im Zentral- OP 
    • 3. Psychologische Situation der Patientin (möglichst kurzer Weg und geringe Distanz zu Kind / Vater)
  • Hinzuziehen der OP-Pflege zum Instrumentieren. Abdeckung vorzugsweise mit "Hysteroskopie-Pack". Nur ausnahmsweise im Gebärzimmer, bei guten Sichtverhältnissen, keiner stärkeren Blutung und suffizienter Analgesie.
  • Assistenz: primär OP-Pflege, sonst: Hebamme.

 

 

OP-Technik

  • i.v. Antibiose mit Kefzol 2g single shot präoperativ (nicht nötig, falls bereits laufende Antibiose mit Co Amoxi), bei Penicillinallergie Clindamycin 900mg i.v. single shot
  • Vor Beginn der Naht digital-rektale Untersuchung (sollte eigentlich bei jeder Frau, die vaginal geboren hat durchgeführt werden, mindestens ab DR II°) zum Ausschluss okkulter Rektumläsionen (buttonhole-tear: sehr selten; bleibt dies aber unentdeckt und unbehandelt, besteht ein hohes Risiko für Fistelbildung)
    • Tipp: mit sterilem Überhandschuh (durchsichtig) über dem zur Naht verwendeten sterilen Handschuh
  • Reihenfolge Versorgung:
  • ein gerissener Sphinkter retrahiert sich => Allis-Klemmen zum Aufsuchen des M. sphincter ani internus und externus (Relaxierung der Patientin ist hier von Vorteil)
  • dann Naht: Rektum => Sphinkter ani internus => Sphinkter ani externus => Vaginalriss => Damm
    • Ausnahme: stark blutende Vaginalrisse werden vorgängig versorgt oder Blutungen aus dem Dammbereich abgeklemmt oder übernäht
  • Zuerst Analepithel/Rektum mit Vicryl 3-0 EKN nähen. In der FKL gilt die Weisung invertierend zu nähen und die Mucosa nach Möglichkeit nicht zu durchstechen.
    • Es existieren hinsichtlich der Nahttechnik kontroverse Meinungen; Experten die sagen, man kann entweder invertierend nähen oder innen geknüpft mit Knoten im Lumen des Rectums (weniger Fadenmaterial zwischen den Schichten, protektiv im Hinblick auf Fistelbildung).
    • Tipp: über rektal eingelegten Finger (steriler Überhandschuh) nähen, zur palpatorischen Kontrolle der sicheren Adaptation
  • Sphinkter internus versorgen mit EKN mit PDS 3-0 mit atraumatischer Nadel
  • Sphinkter externus versorgen mit PDS 3-0 mit atraumatischer Nadel
    • Die Datenlage Overlap-Technik vs. End-zu-End-Versorgung ist unklar
    • End-zu-End Versorgung bevorzugen, ansonsten sollte die Technik gewählt werden, mit der der Operateur am besten vertraut is

 

End-zu-End-Technik 

(Quelle: Management von Dammrissen III und IV Grades nach vaginaler Geburt-AVMF-Diaversion)

  • Die überkreuzte Technik ist zu bevorzugen (besserer Halt im Vergleich zur U-Naht).
  • Bei wenig Material, kann weiterhin die U-Naht angewendet werden

(Quelle T. Aigmueller et al.)

Overlap-Technik

(Quelle T. Aigmueller et al.)

  • Sphinkternähte versenken durch Adaptation der Perinealmuskulatur über dem Sphinkterapparat mit Vicryl 3-0
  • Naht Perineum in gewohnter Art und Weise
  • OP-Bericht diktieren

 

Postpartale Versorgung / Verordnung

=>Verordnungen im Lukis

  • Importal 3x10ml p.o. für 6 Wochen
    • harter Stuhlgang muss vermieden werden
    • ggf. reduzieren falls Diarrhoe
    • ausführliche Aufklärung, dass Importal auch nach Austritt aus dem Spital weiter eingenommen werden soll
  • Olfen 75mg ret Tbl. p.o. 1-0-1 fix
  • solange hospitalisiert, bei frühzeitiger Entlassung für mind. 3 d pp, bei Therapie > 3 d Protonenpumenhemmer, z.B. Nexium 1x20 mg/d p.o.
  • Co–Amoxi p.o. Tbl. à 625mg 3x1/d für 3 Tage.
    • Bei Penicillinallergie alternativ Clindamycin 3x300mg/d p.o. für 5 Tage
    • Für Antibiotikatherapie nach höhergradigem DR gibt es keine harte Evidenz, eine Gabe entspricht aber den Empfehlungen zur Fistelprävention.
    • Bei Dammriss Grad IIIa und IIIb kann im Ermessen des Operateurs ggf. auch auf die Verabreichung verzichtet werden.
  • keine rektalen Suppositorien, keine digital-rektalen Untersuchungen
    • hat die Patientin vor Austritt noch keinen Stuhlgang gehabt, dann über die Wichtigkeit des weichen Stuhlgangs aufklären. Hebamme für Nachsorge instruieren / organisieren
  • Physiotherapie: Anmeldung im LUKIS: via Verordnung: Anmeldung Physiotherapie (bei Klinik: Spezialklinik> Brustzentrum> Dammriss auswählen. Kommentar: Dammriss Grad xx, Instruktion höhergradige Dammrisse) 
    • Am Wochenende sind die Physiotherapeuten nicht im Haus, daher wird die Patientin beim Austrittsgespräch über die Notwendigkeit von Rückbildungsgymnastik und das Schliessmuskeltraining nach 6 Wochen postpartal informiert. Dafür kann der Patientin das Merkblatt der Physiotherapie (siehe Anhang) abgegeben werden.
  • Untersuchung auf dem gynäkologischen Stuhl vor Entlassung (keine rektale Untersuchung im Wochenbett bei unkomplizierter Wundheilung)
  • Analgetika / Antiphlogistika / Importal/ Antibiotikum bei Austritt ausreichend rezeptieren
  • Aus rechtlichen Gründen muss die Dokumentation genauestens gemacht werden und der Patientin das Vorgehen gut verständlich erklärt werden
  • Wochenbettbericht obligat

→ Kopie an Beckenbodenzentrum im Haus mit Bitte um Aufgebot in ca. 8-12 Wochen

→ Immer reguläre postpartale Nachkontrolle beim FA 

Nachkontrolle

• Alle Patientinnen nach höhergradigem DR sollen ca. 8-12 Wochen postpartal im Beckenbodenzentrum für eine Untersuchung mit Endoanalschall angemeldet werden. Bei dieser Konsultation werden die Sphinkteren sonografisch beurteilt, das weitere Prozedere und ggf. Empfehlungen für weitere Geburten gegeben.

• Hinsichtlich nächster Geburt s. Blaubucheintrag über "Leitung Geburt nach höhergradigem DR"

Literatur

AWMF-Leitlinie 015/079: Management bei Dammrissen III und IV Grades nach vaginaler Geburt, überarbeitete noch nicht veröffentlichte Version 12/2020

Payne TN Carey JC Rayburn WF; Prior third- or fourth degree perineal tears and recurrence risks Int J Gynecol Obstet 1999, 64: 55-57

Sultan AH Kamm Ma Hudson CN; Obstetric perineal tears : an audit of training J Obstet Gynecol 1995; 15: 19-23

Kamm M; Obstetric damage and faecal incontinence Lancet 1994; 344: 730-33

Sultan AH; Anal incontinence after childbirth Curr Opin Obstet Gynecol 1997; 9: 320-24

Eddy A; Litigating and qualifying maternal damage following childbirth Clin Risk 1999, 5: 178-80

Keighly MRB Radley S Johanson R; Consensus on prevention and management of post-obstetric bowel incontinence and third degree tear Clin Risk 2000, 6: 231-37

Royal College of Obstetricians and Gynaecologists (Guideline No. 29, Clinical Green Top Guidelines: Management of Third- and Fourth-Degree Perineal Tears Following Vaginal Delivery - March 2007)        

Aigmueller T. et al.; Guidelines for the management of third and fourth degree perineal tears after vaginal birth from the Austrian Urogynecology Working GroupInt Urogynecol J. 2013 Apr;24(4):553-8. doi: 10.1007/s00192-012-1982-x. Epub 2012 Nov 17.

Sultan AH et al.; Perineal and Anal Sphincter Trauma - Diagnosis and Clinical Management Springer 2009

Farrell SA et al. Overlapping compared with end-to-end repair of complete third-degree or fourth-degree obstetric tears: three-year follow-up of a randomized controlled trial. Obstet Gynecol. 2012 Oct;120(4):803-8.

Autor: J. Frey / J. Kohl
Überarbeitet: V. Uerlings
Autorisiert: C. Christmann
Version: 11.2021
Gültig bis 31.12.2024