Hyperemesis gravidarum NEU
22.08.20 - Anpassung Ondansetron Ergänzung Betablocker
- Einführung
- Klinik
- Diagnostik
- Differentialdiagnosen
- AllgemeineTherapiemassnahmen
- Medikamentöse Therapie
- Weitere Therapien
- Verlaufskontrollen
- Literatur
Einführung
Schwangerschaftsbedingte Übelkeit und/oder Erbrechen betrifft bis zu 80% aller Schwangeren.
Die Hyperemesis gravidarum als schwere Form des schwangerschaftsbedingten Erbrechens, bei der es zu Exsikkose, Elektrolytveränderungen und Gewichtsabnahme kommt betrifft 0,5 bis 3,6% aller Schwangeren.
Klinik
Typischer Beginn der Symptome Übelkeit und rezidivierendes Erbrechen 5-10x/Tag (morgendlich oder über den ganzen Tag verteilt) in der 5.-6. SSW mit einem Peak in der 9. SSW und einem Andauern bis zur 16.-20. SSW (90% aller Frauen sind nach der 20. SSW beschwerdefrei).
Zusätzlich Gewichtsverlust mehr als 5% oder > 3kg des Ausgangsgewichts vor der Schwangerschaft, Exsikkose und Elektrolytverschiebungen.
Zur Objektivierung des Schweregrades der Hyperemesis gravidarum wird in internationalen Leitlinien die Verwendung von Scores, wie z.B. dem PUQE-Score (Pregnancy-Unique Quantification of Emesis and Nausea) empfohlen, entwickelt durch das Motherisk-Programm in Canada.
Diese können zur Einteilung des Schweregrades (mild, moderat, schwer) sowie zur Beurteilung des Therapieerfolges verwendet werden.
Diagnostik
Anamnese:
- Hyperemesis gravidarum in einer vorausgegangenen Schwangerschaft
- PUQE-Score
- Bauchschmerzen, Miktionsbeschwerden, Infektzeichen, Medikamenteneinnahme, chronische H. pylori-Infektion
Untersuchung
- BD, Puls, 02-Sättigung, AF, Gewicht
- Palpation des Abdomens
- Ultraschall: intrauterine, intakte Gravidität, Mehrlinge, Trophoblasterkrankung?
Labor:
- Urinstatus: Ketonkörper, spez. Gewicht/Dichte
- Blutbild (Infektion, Anämie, Hämatokrit?)
- Elektrolyte: Natrium, Kalium, Calcium, Chlorid
- Kreatinin, Harnstoff
- ALAT/ASAT (Erhöhung in bis 40% der Patientinnen mit HG, typ. ALAT>ASAT, ALAT mit milder Erhöhung auf 2-3fach der Norm möglich).
Hyperbilirubinämie kommt selten vor.
Die Leberwert-Erhöhung korreliert mit der Schwere des Erbrechens. Die Leberwerte normalisieren sich rasch wenn das Erbrechen sistiert. - TSH, fT3, fT4 (Schilddrüsenstimulierende Wirkung β-HCG à Erhöhung fT4 oder Verminderung TSH < 0,4 mU/L) bei negativen Autoimmunantikörpern (=transient biochemical thyreotoxicosis – kein Therapie – Normalisierung mit Regredienz der Symptome)
Bei schweren/rezidivierenden Fällen oder Vorerkrankungen:
- aBGA (metabolische Entgleisung)
- Blutzuckerkontrolle bei Diabetes (Ketoazidose)
- Amylase (Pankreatitis)
Differentialdiagnosen
Die Hyperemesis gravidarum ist eine Ausschlussdiagnose, andere Ursachen müssen ausgeschlossen werden.
- gastrointestinale Erkrankungen: Magen-/Duodenalulkus, Cholezystitis, Pankreatitis, Appendizitis, Gastroenteritis, Hepatitis, chron. H. pylori-Infektion
- Pyelonephritis, Nierensteine
- Metabolische Erkrankungen (diabetische Ketoazidose, Porphyrie, M. Addison, Hyperthyreose, Hyperparathyreoidismus)
- Neurologische Erkrankungen (ZNS Tumore, vestibuläre Störungen, Wernicke-Enzephalopathie, Migräne, Pseudotumor cerebri, Esstörungen, psychiatrische Erkrankungen)
- Medikamenteninduziertes Erbrechen
AllgemeineTherapiemassnahmen
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Ernährungs- und Lifestyle-Beratung: kleine, häufigere Mahlzeiten alle 1-2 h. Überfüllung des Magens/leeren Magen meiden. Keine scharfen, fettigen, sehr süßen Speisen. Trockene, wenig gewürzte Snacks und kaltes Essen, Pfefferminztee oder Pfefferminzbonbons können Symptome lindern. Auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten. Kaffee, Kohlensäure meiden.
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Bereits präkonzeptionell Multivitaminpräparat. Bei ersten Symptomen erfolgt die Umstellung auf ein Folsäure-Monopräparat, Vermeidung von eisenhaltigen Präparaten.
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Stressoren und sensorische Stimuli wie Gerüche, Hitze / hohe Luftfeuchtigkeit, Lärm, grelles / flackerndes Licht vermeiden
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Akupressur: Pe-6 Druck (3 Querfinger proximal des Handgelenks, zwischen den Sehnen des M. palmaris longus und des M. flexor radialis), Du 12, Du 20
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Bei Status nach schwerer HG Beginn in einer Folgeschwangerschaft bereits vor Symtombeginn
Medikamentöse Therapie
Stoffgruppe |
Präparat (Wirkstoff) |
oral | i.v. |
Ingwer |
Zintona Kps (Ingwer-Wurzelextrakt) |
Kapseln 250mg 4x/Tag |
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B-Vitamine / Antihistaminikum |
Itinerol B6®
(Pyridoxin (B6) Meclozin) |
Supp 2x/Tag Kps 4x/Tag |
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Dopaminantagonist |
Paspertin®
(Metoclopramid) CAVE: EPMS |
Tbl. 10 mg p. o. 3 x/Tag Tropfen 30 Tropfen (10 mg) p.o. 3x/Tag |
Ad Infusion 30 mg/24h |
Neuroleptikum
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Nozinan® Levomepromazin |
kann von der Apotheke bestellt werden Tbl., Trp. oder Infusionslösung, vorsichtig einschleichen und ausschleichen (initial 25-50mg bis max 150mg tgl. in 2-4 Dosen) |
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Glukokortikoide
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Prednison® |
20mg 2-3 x / d p.o., max. Reduktion 50% alle 3 Tage |
Ondansetron (Zofran)
Ondansetron in der Schwangerschaft ist ein off label use. Der Einsatz von Ondansetron kann im 2. und 3. Trimenon als unbedenklich betrachtet werden, im 1. Trimenon ist jedoch Vorsicht geboten. Auch wenn die Datenlage nicht eindeutig klar ist, es gibt es Hinweise dafür, dass Zofran ein erhöhtes Risiko für Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sowie kongenitalen Herzfehlern darstellt.
Ondansetron sollte daher nicht als standardmässiges Reserve-Medikament verordnet werden. In schweren Fällen und bei fehlenden Alterantiven kann es aber angewendet werden. Die Patientin muss über den off-label-use informiert werden.
Magenschutz
- additiv bei Symptomen oder belasteter Anamnese
- PPI (Omeprazol, Pantoprazol) als H1-Protonenpumpenhemmer
- Ranitidin als H2-Rezeptorantagonist
Beta-Blocker
Insbesondere bei hyperthyreoter Stoffwechsellage (sehr tiefes TSH, erhöhtes fT4 und fT3) ist der Einsatz eines Betablockers (z.B. Metoprolol 25mg) in niedriger Dosierung häufig sehr erfolgreich. Die Anwendung im ersten Trimenon über einige Wochen ist problemlos. Der Blutdruck muss beachtet werden, eine niedrige Dosis senkt einen normalen Blutdruck in der Regel nicht wesentlich.
Weitere Therapien
Flüssigkeitshaushalt
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ca. 30-40 ml/kgKG/Tag
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à z.B. Patientin 50 kg: 1000ml Ringer und 1000ml 5% Glucose in 24h
Parenterale oder enterale Ernährung
Falls eine Nahrungsaufnahme nicht möglich ist, erfolgt diese parenteral über einen peripheren bzw. Zentralvenösen Zugang. Dies gewährleistet den Flüssigkeits- und Kalorienbedarf und deckt den Bedarf an Glukose, Lipiden und Aminosäuren. Das Volumen der Applikation ist dabei vom Gewicht der Schwangeren abhängig.
Verlaufskontrollen
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Ustix auf Ketone im Morgenurin
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1x/Tag (morgens) wiegen
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niedermolekulares Heparin in prophlaktisher Dosierung 1x/Tag, Antithrombosestrümpfe
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Elektrolyte (K, Ca, Na), Kreatinin verlaufskontrollieren
Literatur
- Commmittee on Practice Bulletins-Obstetrics. ACOG Practice Bulletin No. 189: Nausea And Vomiting Of Pregnancy. Obstet Gynecol 2018; 131: e15-e30
- www.embryotox.de
- Einarson TR, Piwko C, Koren G. Quantifying the global rates of nausea and vomiting of pregnancy: a meta analysis. J Popul Ther Clin Pharmacol 2013; 20: e171-e183.
- Frauenheilkunde up2date 2018; 12(06): 498 – 507. DOI: 10.1055/a-0595-7287
- SOP/Arbeitsablauf Nausea, Emesis, Hyperemesis gravidarum. Bryan, Corinna S. Lacasse A, Rey E, Ferreira E. et al.. Validity of a modified Pregnancy-Unique Quantification of Emesis and Nausea (PUQE) scoring index to assess severity of nausea and vomiting of pregnancy. Am J Obstet Gynecol 2008; 198: e71-e77
- Matthews A, Haas DM, O'Mathúna DP, Dowswell T. Interventions for nausea and vomiting in early pregnancy. Cochrane Database Syst Rev. 2015;
- JAMA 2018 Dec 18;320(23):2429-2437. doi: 10.1001/jama.2018.1830
- Obstet Gynecol. 2018 Aug;132(2):385-394. doi: 10.1097/AOG.0000000000002679
- Obstet Gynecol 2016 May;127(5):878-83. doi: 10.1097/AOG.0000000000001388
Autor: Nadine Muschel
Autorisiert: Ivo Fähnle, Markus Hodel
Version: 08/2020